Zwischen Tradition und Innovation: Neue genomische Techniken im Überblick

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von Pauline Otto

Die Debatte um neue genomische Techniken scheint die Geister in Europa zu scheiden. Grund dafür ist die Abstimmung der EU-Parlamentarier im Februar 2024, welche sich mehrheitlich für eine Lockerung der Auflagen neuer genomischer Techniken (NGTs) der Kategorie 1 aussprachen. Ein Ergebnis, welches insbesondere in Deutschland für kontroverse Debatten über potenzielle Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft sorgt. In diesem Blogbeitrag werfen wir einen genaueren Blick auf NGTs in der Landwirtschaft und erklären die wissenschaftlichen Mechanismen hinter den verschiedenen Verfahren.

Kurzer Exkurs in die Geschichte der Pflanzenzüchtung

Bereits im 19. Jahrhundert gelang es dem Mönch Gregor Mendel anhand von Kreuzungsversuchen mit Erbsen, die Grundlagen der modernen Vererbungslehre zu schaffen. Durch seine Erkenntnisse wurde es möglich, Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften gezielt zu kreuzen und deren Nachkommen auf gewünschte Merkmale, wie bspw. verbesserte Schädlingsresistenz, zu selektieren. Dies ist allerdings ein aufwendiger und langwieriger Prozess, denn bis durch Kreuzungen eine Pflanze mit den gewünschten phänotypischen Eigenschaften hervorkommt, können, je nach Pflanzenart, zwischen 10 bis 30 Jahre vergehen. Dennoch werden auch heute noch viele Nutzpflanzen auf diese Weise gezüchtet.

Erst einige Zeit später, in den 50er Jahren, entwickelte sich ein neuer Ansatz der Pflanzenzüchtung: Die sogenannte Mutationszüchtung, auch zufällige oder ungerichtete Mutagenese genannt. Dabei werden entweder durch radioaktive Strahlung oder durch chemische Substanzen, absichtlich zufällige Mutationen im Erbgut einer Pflanze ausgelöst. Anschließend werden aus den entstandenen Mutanten, diejenigen mit den gewünschten Eigenschaften bzw. Genen ausgelesen und in schon vorhandene Sorten eingekreuzt, sodass am Ende eine Sorte entsteht, welche die gewünschten Eigenschaften besitzt und trotzdem an anderer Stelle, bspw. beim Geschmack, keine Nachteile aufweist.

Kreuzungs- und Mutationszüchtungsverfahren unterliegen in der EU keinen gesetzlichen Auflagen. Obwohl Pflanzen aus Mutationszüchtung in den Gentechnik-Gesetzen der EU zwar zu den „gentechnisch veränderten Organismen“ (GVO) gezählt werden, sind sie von allen gentechnik-spezifischen Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften befreit, auch im Ökolandbau. Begründet wird dies durch die Annahme, dass die in Mutationszüchtung erzeugten Veränderungen im Erbgut auch auf natürliche Weise entstehen könnten und daher als “natürlich” angesehen werden können.

Klassische Gentechnik

Anders sieht es bei der sogenannten „klassischen“ Gentechnik aus. Diese Form der Gentechnik wird in der EU streng reguliert und unterliegt hohen Auflagen. Hier wird das genetische Material einer Pflanze mit Hilfe eines Vektors gezielt verändert, um bestimmte Merkmale zu modifizieren oder zu verbessern, bspw. Tomaten mit höheren Anteilen an Anthocyanen. Dies wird meist durch die Einführung fremder DNA erreicht, also die direkte Übertragung von Genen aus einer anderen Pflanzenart, woraus eine neue Pflanzensorte mit neuen Eigenschaften entsteht.

Neue Gentechnik aka. Genome Editing

Eine neuere Art der Pflanzenzüchtung ist das Genome Editing, ein Sammelbegriff für NGTs wie CRISPR-Cas und andere, ähnliche Verfahren. Der Hauptunterschied zu den oben genannten, klassischen Verfahren, liegt in der Präzision und Kontrolle über die Veränderungen im Genom. Im Gegensatz zur klassischen Gentechnik, bei der DNA durch einen Vektor in das Genom eingeführt wird, wird beim Genome Editing DNA gezielt angesteuert und präzise bearbeitet, weshalb man auch von gezielter Mutagenese spricht. Dies geschieht mithilfe von Enzymen wie bspw. Cas9, die an bestimmte DNA-Sequenzen binden und diese schneiden können.

Kategorie 1 oder 2?

Bei den NGTsunterscheidet man zwischen NGTs der Kategorie 1 und Kategorie 2. Bei NGTs der Kategorie 1 wird keine Fremd-DNA, sondern ausschließlich schon vorhandene, eigene oder arteigene Gene, gezielt eingefügt oder verändert bzw. „umgeschrieben“, um spezifische Merkmale wie Krankheits- und Schädlingsresistenz, höhere Erträge oder verbesserte Nährstoffgehalte, zu erzeugen. Beispielsweise werden nur einzelne Basenpaare im DNA-Strang entfernt oder ausgetauscht, gleich einer Punktmutation. Da diese Mutationen genauso auch unter natürlichen Umständen passieren können und ebenfalls bei der ungerichteten Mutagenese auftreten, nennt man NGT-1-Pflanzen auch „conventional-like“ (=konventionell-ähnlich). Auch cisgene Pflanzen gehören zur Kategorie 1, wie etwa Kartoffeln mit Resistenz-Genen gegen Kraut- und Knollenfäule aus einer Wildkartoffel-Art, wodurch 80 Prozent der Pflanzenschutzmittel eingespart werden könnten. Doch auch CRISPR-Cas arbeitet nicht immer ganz so präzise, wie gewünscht. Die Genschere kann nämlich auch an falschen Stellen im Genom schneiden und so Doppelstrangbrüche hervorrufen, welche durch die zelleigenen Reparaturmechanismen zu Veränderungen im Genom führen und ungewollte Nebeneffekte hervorrufen können.

Nichtsdestotrotz werden Pflanzen, die durch NGTs der Kategorie 1 genetisch verändert wurden, außerhalb der EU meist als “conventional-like” eingestuft und fallen somit nicht unter die jeweiligen Gentechnik-Gesetze. Im Entwurf der Kommission gelten die am weitestgehenden Lockerungen ebenfalls ausschließlich für NGT-Pflanzen der Kategorie 1, mit klarer Ausnahme des Ökolandbaus. Eine Koexistenz des Ökolandbaus mit neuen NGT-1-Pflanzen wird von einigen Personen jedoch kritisch gesehen. Bedenken bestehen vor allem bezüglich der Herkunftsnachweise und möglicher Kontaminationen benachbarter Felder. Hierzu lässt sich zumindest sagen, dass dieses Risiko gleichermaßen bei Feldern mit herkömmlichen, konventionellen Pflanzen besteht und NGT-1 Saatgut als NGT gekennzeichnet und in einer Datenbank als Sortenkatalog gelistet sein muss. Ein Argument gegen Herkunftsnachweise entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist die Tatsache, dass NGT-1-Pflanzen analytisch bisher nicht von traditionell gezüchteten Pflanzen unterschieden werden können und somit beide Pflanzen auf dem Feld als gleichgestellt (konventionell) angesehen werden sollten. Daher kam auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu dem Schluss, dass für NGT-1-Pflanzen kein erhöhtes Risiko gegenüber klassisch gezüchteten Pflanzen besteht.

Unter NGTs der Kategorie 2 fallen wiederum tiefgreifendere Eingriffe in das Pflanzengenom, bei denen mehrere Basenpaare oder sogar ganze (Fremd-)Gene eingefügt werden. NGT-Pflanzen der Kategorie 2 unterliegen in der EU sowie auch in den meisten Ländern der Welt, strengen Gentechnik-Gesetzen und Regulierungen. Dies soll laut des Entwurfs der EU-Kommission auch weiterhin so bleiben.

Wer profitiert von NGTs?

Im Gespräch über die Zulassung von NGT-1-Pflanzen ist es besonders wichtig zu bedenken, wer diese Technologien zu welchem Zweck einsetzt und von ihnen profitiert. Denn es ist weniger die Technologie selbst, welche Bedenken anstoßen sollte, sondern viel mehr die dahinterstehenden Wirtschaftsmodelle. Eine neu entwickelte Weizensorte mit Hitzetoleranz und stabilen Erträgen ist nur dann zu bejubeln, wenn das Saatgut für Landwirt*innen auch bezahlbar und reproduzierbar bzw. samenfest ist. Zwar findet die Entwicklung von solchem Saatgut im akademischen Bereich Raum, jedoch lässt sich damit auf dem Markt kein Profit erzielen. Daher haben Unternehmen einen starken Anreiz NGT-1-Pflanzen zu entwickeln, welche beim Anbau den Kauf bestimmter Zusatzprodukte wie Dünge- oder Pflanzenschutzmittel notwendig machen und sich nicht eigenständig vervielfältigen lassen, um ihre Gewinne zu steigern. Ein Geschäftsmodell, durch das Landwirt*innen in eine starke Abhängigkeit geraten und welches die Monopolisierung einzelner Großkonzerne fördert. Um dem entgegenzuwirken, bräuchte es strengere wirtschaftliche Regulationen seitens der EU, was die Vermarktung von NGT-1-Saatgut betrifft. Im Entwurf der EU-Kommission fordern die Abgeordneten ein vollständiges Verbot von Patenten auf jegliche NGT-Pflanzen.

Fazit

Es wird schnell klar: Die Debatte um NGTs ist vielschichtig und bedarf guter Kommunikation und Diskurs. Aus wissenschaftlicher Sicht führen Kategorie 1 NGTs zu denselben Ergebnissen und Pflanzen wie auch die aus der ungerichteten/zufälligen Mutagenese. Mit dem Unterschied, dass durch gezielte Mutagenese Zeit eingespart werden kann, welche im Hinblick auf die prominenten globalen Krisen kostbar ist. Am Ende kann man durch analytische Verfahren nicht mehr feststellen, welche Pflanze auf „natürliche“ Weise mutiert ist und bei welcher eine NGT angewandt wurde. Dass beide Pflanzen bislang jedoch anders reguliert werden, ist aus wissenschaftlicher Sicht fragwürdig. Es ist zudem wichtig zu wissen, dass im Falle einer Entwurfszustimmung, NGT-1 Pflanzen zuerst, gleich konventionell gezüchteten Pflanzen, ausführlichen Kontrollen und Feldversuchen unterzogen werden, bevor sie tatsächlich auf den Markt kommen dürfen. Zudem benennt der Entwurf ausdrücklich die Nicht-Patentierbarkeit der Pflanzen und die Ausnahme des Ökolandbaus. In diesem Sinne richtet sich der Blick in den nächsten Wochen gespannt auf die Entwicklungen in Brüssel.

Sie möchten noch mehr über Genome Editing erfahren? Klicken Sie hier:
https://www.transgen.de/forschung/1545.neue-zuechtungsverfahren-uebersicht.html

Informatives Video zu CRISPR am Beispiel Weizen:
https://www.youtube.com/watch?v=GiwMTK8Qz9s

Weitere Quelle(n):
https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240202IPR17320/neue-genomische-techniken-parlament-befurwortet-regeln-fur-mehr-nachhaltigkeit