Das ist klar: Schreddern kommt nicht infrage. Aber was tut ein Legehennen-Betrieb mit männlichen Küken, Bruderhähnen und ausgedienten Althennen, um höchsten Tierwohl-Standards zu genügen? Demeter-Landwirt Bernd Hübner vom Gut Kappel bei Bad Arolsen zieht deshalb auch Hähne auf. Doch das Fleisch ist nicht leicht zu vermarkten. Ab drei Monaten hat es einen für heutige VerbraucherInnen ungewohnten Eigengeschmack und taugt als gewöhnliches Grillhähnchen nicht.
Daher lässt der Hof in einem Sozialbetrieb aus Gockelfleisch Bolognese, Geflügel-Curry oder Currywurst herstellen. Doch die Inflation und andere Folgen des Ukrainekriegs bedrohen das fragile Geschäftsmodell, während die Kosten für Futter, Verpackung und Strom steigen: „Auf einmal stehen die Produkte wie Blei im Regal“, sagt Hübner. „Im Moment holt uns alles ein.“
Auch Milchbetriebe mit Kühen, Schafen oder Ziegen stehen vor der Herausforderung, was mit ihren Kälbern und Böckchen geschehen soll. Das wurde bei der Online-Diskussion zum Thema „Der ungeliebte Bruder: Milch und Fleisch gehören zusammen“ von BIONALES am 3. November deutlich. Es geht darum, mit VerbraucherInnen gemeinsam würdige Wege zu finden, wie die Brudertiere auf den Höfen aufgezogen und wie sie vermarktet werden können, so BIONALES-Vorstandsmitglied Margarethe Hinterlang vom Dottenfelder Hof (Bad Vilbel). Kühe, Schafe und Ziegen geben nur Milch, wenn sie immer wieder Junge bekommen.
Der Demeter-Hof Holloh in Schermbeck (NRW) erlebt, dass Ziegenkäse und Ziegenmilch sich wachsender Nachfrage erfreuen, aber das Fleisch von Ziegenböcken unbeliebt bleibt. Mit Ausnahmen: Als KundInnen hat der Hof Menschen mit Migrationshintergrund gewonnen, in deren Herkunftsländern Ziegenfleisch gern gegessen wird.
Trotzdem sei der Verkauf „ein echtes Minusgeschäft“, sagt Eckard Holloh. Daher müsse der Ertrag der Ziegenmilch die Aufzucht der männlichen Tiere mitfinanzieren. Man könne von den KonsumentInnen kein ethisches Denken erwarten à la: Ich esse Ziegenkäse, also bin ich verpflichtet, auch Ziegenfleisch zu essen: „Aus Gnädigkeit wird das keiner machen.“ Es müsste schon eine eigene Motivation dafür geben. Holloh: „Das Tier an sich muss überzeugen.“
Gemeinsame Mitverantwortung
Claudia Smolka von der Seelbacher Bioland-Ziegenkäserei plädiert dafür, gemeinsam mit den VerbraucherInnen Lösungen zu suchen. Niemand müsse ihr Zicklein-Fleisch kaufen, das sei nur ein Angebot. Aber man müsse darüber reden, dass wer Ziegenkäse kauft, „auch ein Stückchen Mitverantwortung für das Leben trägt, das dann in die Welt gesetzt wird“. Sie selbst versucht mit sechs LandwirtInnen, gemeinsam Fleisch zu vermarkten. Doch das bleibe anstrengend.
Milchschafhalter Pascal Küthe vom Naturland-Kapellenhof (Hammersbach) sieht die KonsumentInnen in der Pflicht: „Milch und Fleisch gehören eben doch zusammen. Und der Verbraucher muss das zwingend lernen, wenn wir eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben wollen“, sagt er. Leider wüssten viele Köche nicht, wie man Ziegenfleisch zubereiten muss. VerbraucherInnen müssten die Gerichte probieren und von ihnen überzeugt werden.
Influencer mit Bock auf Zicklein gesucht
Da sind Marketing-Aktionen und Influencer erwünscht, die Bock auf Ziegen- und Lammfleisch haben und dafür werben. Als großes Problem sieht Milchviehhalter Markus Wien (Burgholzhausen) wie seine KollegInnen das Verschwinden der Schlachthöfe in der Region. Weite Wege bedeuten Kosten und sind für die Tiere kaum zumutbar. Es fehle einfach an regionalen Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen für Fleisch. Wien: „Wir Landwirte können nicht das Tier aufziehen, schlachten, abziehen, verarbeiten, vakuumieren. Dann fahren wir es den Leuten noch nach Hause. Am besten wäre es, wir würden es ihnen auch noch kochen, damit sie es richtig genießen können. Das kann doch keiner von uns leisten.“
BIONALES-Vorstandsmitglied Susanne von Münchhausen wirbt für Allianzen von Landwirtschaft, Handel, Politik und VerbraucherInnen: „Wir können das nur gemeinsam schaffen.“ Aber im Moment sei es nicht leicht, etwa Mittel für eine Absatzkampagne für bioregionale Produkte zu bekommen. Margarethe Hinterlang denkt trotz aller Schwierigkeiten an Mutmacherprojekte, etwa im Allgäu oder in Hohenlohe: „Egal was passiert, wir dürfen uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Weil wir alle als LandwirtInnen oder Menschen, die sich mit Landwirtschaft befassen, Zukunftsaufgaben haben.“