Chancen und Herausforderungen regionaler Food Supply Chains

Warum ist es für Verbraucher:innen so schwer, regionale, biologisch-erzeugte Lebensmittel einzukaufen? Woran liegt das, wie stellt sich die Situation in Frankfurt am Main dar und wie könnte diese Situation verbessert werden? Rund um dieses Thema dreht sich die von Marita Böhringer angefertigte Masterarbeit mit dem Titel: Chancen und Herausforderungen regionaler Food Supply Chains am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main.

Unsere Nahrungsmittelsysteme sind heute überwiegend durch globale Strukturen geprägt. Mit der Entwicklung von Kommunikationstechnologien und sinkenden Transportkosten wurden Lebensmittelwertschöpfungsketten internationalisiert und weltweit ausgedehnt. Die industrielle Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln verdrängte kleine- und mittelständische landwirtschaftliche Betriebe, regionale Kreisläufe mussten den großen, globalen und ökonomisch effizienteren Wertschöpfungsketten weichen. Aus ursprünglich regionalen und kurzen wurden staatenübergreifende und lange Lebensmittelwertschöpfungsketten mit einer Vielzahl an Beteiligten und zum Teil weiten Strecken zwischen diesen. Damit einher geht der Trend einer intensiven Landwirtschaft, die beispielsweise unter Einsatz von Agrochemikalien eine Maximierung der gegenwärtigen Erträge erzielen soll. Die exzessive Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen hat eine Reihe negativer Umweltauswirkungen, wie Bodenerosion, Grundwasserverschmutzung oder den Rückgang der Biodiversität zur Folge.

Durch diese und weitere Entwicklungen findet seit einiger Zeit eine Rückbesinnung auf die regionale Lebensmittelwertschöpfung statt. Mit ihr werden im Sinne einer Alternative u.a. die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe, bessere Arbeitsbedingungen, eine höhere Transparenz über Produktion und Verarbeitung der Lebensmittel, die Erhaltung der Biodiversität und nicht zuletzt ein positiver Beitrag zum Klimaschutz verbunden. Zudem bieten regionale, landwirtschaftliche Wertschöpfungsketten die Chance, unabhängig vom internationalen Handel zu agieren. Die mit dem globalen Lebensmittelhandel verbundenen Risiken, die durch Handelshemmnisse, Naturkatastrophen oder den Klimawandel entstehen und zu Preissteigerungen und Knappheit führen können, werden durch ein eigenes intaktes Versorgungssystem reduziert. „Regionale Lebensmittel“ sind dabei jedoch keinesfalls nur ein Thema innerhalb der Industrie oder Politik, sie stehen auch in zunehmendem Interesse der Konsument:innen. Die beschriebenen negativen Folgen globaler Lebensmittelwertschöpfung, verschiedene Lebensmittelskandale sowie die mit regionalen Lebensmitteln verbundenen positiven Effekte führen dazu, dass viele Konsument:innen sich wieder mehr Transparenz und weniger Beteiligte in Lebensmittelwertschöpfungsketten wünschen.

Diesem Wunsch hin zu mehr Regionalität stehen jedoch die realen Entwicklungen der regionalen landwirtschaftlichen Strukturen entgegen. Viele kleine landwirtschaftliche Betriebe können nicht mehr mit globalen Lebensmittelwertschöpfungsketten konkurrieren und geben auf. Boden wird unbezahlbar, sodass sich neue Betriebe nicht etablieren können. Aufgrund steigender Energie- und Lohnkosten sowie fehlender effizienter Logistikstrukturen sind regionale Produkte so teuer, dass nur wenige sie sich leisten können bzw. wollen. Auch bzw. besonders betroffen ist Hessen. Hier sind, bedingt durch die nutzbaren Flächen, sehr viele kleine landwirtschaftliche Betriebe vorhanden, die von der globalen Ausrichtung der Lebensmittelwertschöpfung besonders betroffen sind. Sichtbar wird das bei Betrachtung der Betriebsanzahl und der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft in Hessen. Hier ist, stärker als in anderen Bundesländern, ein zahlenmäßiger Rückgang zu beobachten.
Welche Herausforderungen sehen die bäuerlichen Betriebe ganz konkret in ihrer täglichen Arbeit? Was wünschen sie sich für die Zukunft und was brauchen sie, um weiterzumachen? Dafür wurden Expert:innen aus der ökologischen Landwirtschaft zu spezifischen Herausforderungen interviewt.

In den Gesprächen wurden vor allem fehlende Strukturen als Herausforderung genannt. So gibt es in Hessen kaum Zerlegebetriebe und Metzgereien. Tiere insbesondere aus der biologischen Landwirtschaft müssen teilweise mehrere hundert Kilometer zurücklegen, um geschlachtet, zerlegt und verarbeitet zu werden. Die Situation für Geflügel vor Weihnachten scheint besonders prekär zu sein. Auch Molkereien sowie Mühlen sind im ländlichen hessischen Raum weggebrochen, da diese wirtschaftlich nicht mehr tragbar waren. Biomilch wird teilweise bis nach Coburg (Bayern) oder Schrotzberg (Baden-Württemberg) gefahren, wenn nicht noch weiter. Weiterhin fehlen Gemüseanbaubetriebe, doch dies ist ein deutschlandweites Problem. Der deutsche Bedarf an Gemüse wird von Deutschland selbst nur zu 36% gedeckt. Nicht zu vernachlässigen sind die Probleme, die viele Betriebe aufgrund der föderalen Strukturen haben – Vorschriften der verschiedenen Veterinärämter unterscheiden sich teilweise massiv innerhalb Hessens. So kann es sein, dass zwei benachbarte Betriebe anderen Vorschriften und auch Kostenstrukturen unterliegen.

Neben nicht vorhandenen Strukturen sind viele Betriebe unzufrieden, weil ihnen der Informationsaustausch und somit die Transparenz entlang der Wertschöpfungskette fehlt. In vielen Fällen ist nicht klar, ob die hohe Qualität ihrer Produkte über die gesamte Kette erhalten bleibt. Bleibt diese nicht erhalten, kann eine Konsequenz sein, dass Verbraucher:innen nicht mehr bereit sind, die teilweise sehr hohen Preise für regionale Lebensmittel zu bezahlen. Im schlimmsten Fall sinkt sogar das Vertrauen in regional erzeugte Produkte und die Bereitschaft, diese zu kaufen.

Eine weitere Herausforderung ist der Standort, vor allem für Betriebe, die nicht im Ballungsgebiet großer Städte liegen. So lohnt es sich für die Landbevölkerung nicht, extra auf den Hof zu fahren oder die Menschen sind nicht bereit, direkt vom Bauern zu kaufen, wenn sie viel günstiger beim Discounter um die Ecke einkaufen können. Der Weg in die großen Städte ist für viele Landwirt:innen jedoch sehr aufwändig, zeitintensiv oder es fehlt schlicht der Zugang. Ein Marktstand ist für manche Betriebe eine gute Lösung, aber bei weitem nicht für alle. Gründe dagegen sind bspw. dass nicht jede Bäuerin oder Bauer gleichzeitig gute Vertriebler:innen sind, eine für einen Marktstand zu geringe Menge, aber auch das Produktportfolio, das möglicherweise bereits von anderen Marktbeschicker:innen abgedeckt wird.

Eine Lösung für Betriebe ohne eigenen Marktstand wäre bzw. ist der Verkauf im großen (Supermärkte) oder kleinen (Bio-Läden, Hofläden, Reformhäuser etc.) Einzelhandel. Doch auch der Einzelhandel muss seinen Aufwand so minimal wie möglich halten und kann nicht zu kleine Mengen bei zu vielen verschiedenen Betrieben bestellen. Es fehlt an Bündelungsbetrieben für Bestellungen und Auslieferungen, an einem guten und intensiven Informationsaustausch sowie an Vernetzung zwischen den Erzeugerbetrieben und den Verbraucher:innen, egal ob in der Außer-Haus-Verpflegung oder direkt an die Endkund:innen.

Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, braucht es Initiativen oder Unternehmen, die den Kontakt zwischen den Verbraucher:innen und den Landwirt:innen herstellen. Lernen Verbraucher:innen die Landwirt:innen in ihrer Region kennen, werden diese wieder mehr wertgeschätzt und wahrgenommen. Diesen Kontakt können Organisationen, wie Ernährungsräte herstellen, aber auch Ansätze wie die solidarische Landwirtschaft, bei der eine Gruppe von Menschen direkt bei den Erzeuger:innen einkaufen und ab und zu sogar auf dem Betrieb mithelfen. Kooperativen oder andere Modelle einer gemeinschaftlichen Vermarktung können Synergien schaffen und Ressourcen seitens der Landwirt:innen freisetzen, die sie dann wieder sinnvoller für ihren laufenden Betrieb einsetzen können. Bündler:innen können Aufgaben mehrerer bäuerlicher Betriebe übernehmen, wie Bestellung, Auslieferung oder Rechnungsstellung und so regionales Einkaufen für Einzelhändler:innen einfacher gestalten, aber auch kosteneffektivere logistische Strukturen aufbauen. Solche Maßnahmen stärken regionale Wirtschaftskreisläufe und Transportkilometer werden drastisch reduziert. Lokale Kreisläufe werden geschlossen: Lebensmittel werden in der Region erzeugt, weiterverarbeitet und konsumiert.

Basierend auf diesen Erkenntnissen hat sich im Ernährungsrat Frankfurt der Arbeitskreis House of Food in Frankfurt etabliert und arbeitet an einem Konzept, diese Bündlerfunktion in und für Frankfurt bzw. das Rhein-Main Gebiet zu übernehmen. Außerdem gibt es eine Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Fulda, BIONALES e.V. und der nearbuy GmbH. Letztere hat ein digitales Werkzeug entwickelt, um die direkte und regionale Zusammenarbeit zwischen Landwirt:innen und der Außer-Haus-Verpflegung zu stärken. Im Team soll dieses Werkzeug weiterentwickelt werden hin zu einer Bündelungsplattform, um sämtliche Einkaufsprozesse inkl. der Logistik für die Außer-Haus-Verpflegung, also Großküchen und Restaurants, aber auch den kleinen Einzelhandel zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.

Entsprechende Quellen, die für den Blogbeitrag genutzt worden sind, sind in der Masterarbeit zu finden.